„Dialog ist eine Vorstufe von Frieden“
Von Michael Herth am 09. November 2017
Den Originaltext finden Sie hier.
Es ist einfach, sich mit Menschen zu unterhalten, denen man ähnelt. Doch wie entstehen Dialoge zwischen Menschen, die sich fremd sind? Im Gespräch mit neues handeln erzählt Hanife Tosun vom Kölner Verein Interkultureller Dialog (ikult), wie sie Menschen mit verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründen zusammenbringt.
Frau Tosun, was bedeutet Dialog für Sie?
Dialog ist für mich eine Vorstufe für den Frieden.
Für den Frieden? Bedeutet Dialog nicht manchmal auch Streit?
Im Gegenteil. Die Motivation zu streiten sinkt während eines Dialogs, da man den anderen kennenlernt. Wenn Menschen ständig im Dialog wären, würden sie sich dahin entwickeln, sich besser kennenzulernen und besser miteinander auszukommen. Der Mensch würde merken: „So schlimm bist du ja gar nicht. Ich muss gegen dich keinen Krieg führen.“
Sie bringen seit Jahren Menschen unterschiedlichen Glaubens und aus unterschiedlichen Kulturen zusammen. Was ist die Voraussetzung für einen funktionierenden Dialog?
In erster Linie müssen die Menschen eine Bereitschaft zum Dialog mitbringen. Sie müssen erkennen: „Was für mich das Beste ist, ist es für andere vielleicht nicht“. Ein Dialog funktioniert nicht, wenn jemand immer zeigen möchte, warum er oder sie Recht hat. Es ist ein Austausch, bei dem beide Seiten Neues erkunden, aber auch lernen, ihren Standpunkt zu vertreten. Häufig sind Menschen anfangs nur neugierig. Das ist zwar wichtig, aber nicht ausreichend – Ausdauer und Geduld sind wichtige Punkte, um den Dialog fortführen zu können.
Das klingt nach einem langwierigen Prozess.
Ja, das ist interkultureller Dialog immer. Manche Menschen wollen anfangs gar nicht in Dialog treten, sondern nur ihre Interessen vermitteln. Doch dann beginnt häufig ein Dialog-Prozess. Diejenigen, die das nicht möchten, kommen erst gar nicht oder kommen nicht mehr wieder.
Worauf achten Sie konkret, wenn Sie einen interkulturellen Dialog initiieren wollen?
Neben der Neugier und der Bereitschaft des Einzelnen ist ein gemeinsames Ziel wichtig. In Gesprächsrunden geben wir beispielsweise ein Thema vor, etwa die Bundestagswahlen. Das sind Themen, die in die verschiedenen Kulturen passen, aber auch brenzlige Themen, bei denen es Vorurteile gibt. In diesen Fällen kommen natürlich kritische Fragen auf, mit denen man umzugehen lernen muss. Aber auch ganz andere Formate bieten sich an: Wir veranstalten Kochabende, Reisen und Wandertouren. Dabei hat man auch ein bestimmtes Ziel, sei es das Ende des Ausfluges oder das gemeinsam gekochte Gericht. So entstehen nachhaltige Dialoge, die in Freundschaften und regelmäßige Treffen münden.
Welche positiven Erlebnisse sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Bei einem Kochabend sagte eine Dame aus einer evangelischen Frauengruppe: „Ich habe ganz viele Vorurteile“. Am Ende des Abends sagte sie: „Jetzt hat sich schon so viel verändert“. Wir sind danach sogar gemeinsam verreist. Es sind diese kleinen, individuellen Ereignisse, die wir erreichen wollen. Wir erwarten immer sehr viel von der Politik. Aber eigentlich würden wir uns viel näher kommen, wenn wir in der Nachbarschaft, in den Schulen oder auf den Arbeitsstellen mehr Dialoge führten. Wir wollen individuell Menschen erreichen und kleine „Friedensinseln“ des Austauschs und des Dialogs in der Gesellschaft schaffen. Je mehr es von diesen Inseln gibt, desto geringer wird der Zwischenraum, in dem kein Dialog stattfindet. Dann sieht man sich, dann lernt man sich kennen.
Woran kann ein Dialog scheitern?
An Vorurteilen und daran, dass die Menschen erst gar nicht kommen, wenn sie starke Vorurteile haben. Die Sichtweise ist oft: „Der oder die hat Vorurteile mir gegenüber“. Es geht meist nicht darum, dass man selber Vorurteile hat, sondern, dass man dem anderen Vorurteile unterstellt. Es sind Ängste. Manchmal wünsche ich mir, dass auch Rechtsradikale vorbeikommen, die schnell merken würden: „So schlimm sind wir gar nicht“.