(Köln, 21.04.2015) Am Dienstagabend startete die Gesprächsreihe „Lebens- und Glaubenswelten in Deutschland – Die Wahrnehmung des ‚Anderen‘ in unseren Köpfen“, ein gemeinsames Projekt des Interkultureller Dialog e.V. und der Kölner Hochschulvereinigung Young Academics. Zum Auftakt der Gesprächsreihe hielt Dr. Susanne Spülbeck, Ethnologin und Geschäftsführerin des blickwechsel, einen Vortrag zum Thema „Wie entstehen Vorurteile?“ und vermittelte theoretische Grundlagen, die in den kommenden Sitzungen von großer Bedeutung sein werden.
A. Kategorienbildung
Dr. Spülbeck erklärte, dass Kategorien Menschen dabei helfen die Welt in der sie leben zu ordnen. Diese seien erforderlich, um die Welt besser zu verstehen. Demnach würden auch Kinder Wahrnehmungskategorien bilden, um beispielsweise Gefahren zu erkennen und einfache alltägliche Sachen zu verstehen. So könnten Kinder alle Vierbeiner bereits der Kategorie „Tierwelt“ zuordnen. Alles, was in einer Babyflasche ist, könne demnach als „Nahrung“ erkannt werden. Dies führe jedoch auch dazu, dass Kinder leicht daneben liegen können.
Kategorien liefern klare Orientierungen, mit denen man trennen und ordnen kann. Sie fungieren somit als Hilfsmittel, um Dinge besser einordnen zu können.
B. Henri Tajfel
In ihrem Vortrag bezog sich Spülbeck auch auf den britischen Sozialpsychologen Henri Tajfel (1919-1982), der sagt, dass ein rigider autoritärer Charakter zur Vorurteilsbildung neigt, weil dieser gewisse Probleme in der Kindheit hatte. Alle Menschen neigen zu Vorurteilen, weil jeder Kategorien bilden muss, um sich zu orientieren. Als Paradebeispiel könne man die Kategorien Männer und Frauen nehmen, weil durch diese bestimmt werden könne, was typisch männlich und weiblich ist. Irrelevant sei hierbei, ob in anderen Ländern diese Dinge anders definiert werden. Der Kabarettist Ursus Wehrli sagte hierzu, dass es ein menschliches Bedürfnis ist, dass man nach Ordnung und klarer Orientierung sucht. Gerade zu beispielhaft sei, dass man Führungspositionen immer mit schlanken und dominanten Männern in Verbindung bringe. Klischees würden schnell zur Geschlechterrolle werden.
Alle Menschen neigen zu Vorurteilen, weil jeder Kategorien bilden muss, um sich zu orientieren.
C. Soziale Kategorien
Soziale Kategorien seien effizient, weil diese Orientierung im Alltag liefern, so Spülbeck. Sie definieren auch die eigene Identität. Hierbei sei zu beachten, dass es verschiedene Identitätskonstruktionen geben könne. Diese Art der Kategorie sei erfahrungsoffen. Das heißt, wenn man beispielsweise einen Fremden näher kennenlernt, könnten sich eigene Stereotypen auch ändern. Automatisch seien mehr Vorurteile vorhanden, wenn man wenig Erfahrungen mit anderen Typen habe.
D. Georg Simmel
Der deutsche Philosoph Georg Simmel (1858-1918) habe sich mit der Frage befasst, welche Rolle Fremde in der Gesellschaft hätten. Fremdheit sei etwas, das mit Mobilität zu tun habe. Der Fremde komme von irgendwo dazu und könne über einen längeren Zeitraum bleiben oder weiter ziehen. Der Fremde sei ein organisches Glied der Gruppe und jede Gesellschaft brauche Personen, die sie als fremd definieren könne, um ihre eigene Identität besser zu definieren und von den anderen zu trennen. Der Fremde sei auch der unabhängigere, denn er bewerte die Verhältnisse vorurteilsfreier und sei in seiner Aktion nicht durch Gewöhnung gebunden. Aus diesem Grund waren die Richter in den italienischen Städten immer zugereiste Juristen, so Dr. Spülbeck. Die Rolle des Fremden gebe uns die Möglichkeit Dinge anders zu sehen und zu tun, als wir es gewohnt seien. In dem Maß, in dem es gelinge, das Fremde fremd sein zu lassen und ihm zugleich einen sicheren Ort in unserer Gesellschaft zu geben, in dem Maß würden wir unsere Gesellschaft als eine stabile erleben. Menschen mit Problemen, anderen Neigungen oder anderen Ideen hätten meist das Problem sich zu outen, weil sie die Angst in sich trugen, von der Gesellschaft nicht akzeptiert zu werden. Je besser es einer Gesellschaft gelinge diese Außenseiter zu integrieren, desto sicherer fühle sie sich.
Fazit
Auf Grundlage der oben beschriebenen Inhalte ist Dr. Spülbeck zu dem Schluss gekommen, dass Vorurteile individuelle Versuche sind, eine klare Orientierung in einer diffusen Welt herzustellen. Deshalb müssten Vorurteile öffentlich ausgehandelt werden. Gesellschaftliche Diskurse über Vorurteile sollten ein akzeptierter Teil des öffentlichen Diskurses werden. Denn die Reduzierung von Vorurteilen sei möglich, wenn klare Orientierungen im öffentlichen Diskurs geliefert werden, so Dr. Spülbeck am Ende ihres Vortrags.
Gesellschaftliche Diskurse über Vorurteile definieren die Lebensqualität in einer Gesellschaft für alle.
Dr. Susanne Spülbeck