Buchempfehlung und Rezension von Hasan Dağdelen
Die von Fethullah Gülen inspirierte Hizmet-Bewegung wird von der Öffentlichkeit in Deutschland unterschiedlich aufgenommen. Vor dem Hintergrund immer wieder vorgebrachter Vorwürfe und Vorbehalte ermöglicht dieses Buch eine fundierte und differenzierte Betrachtung der Äußerungen Fethullah Gülens.
Gülen äußert sich in diesem Werk unter Anderem in Form von Interviews und Meinungstexten zu gesellschaftsrelevanten Fragen für gläubige Muslime im Kontext der Moderne. Neben verschiedenen Interviews mit Medienvertretern aus den Jahren 2012 und 2014, in denen er sich über seine Ideale und die großen Projekte seines Lebens, Dialog und Bildung, äußert, bezieht Gülen insbesondere zu gesellschafttlichen und religiösen Kernfragen Stellung. Einige Schlüsseltexte aus den letzten Jahren verdeutlichen, für welche Positionen Gülen steht und warum das, was er denkt und glaubt, für viele Menschen inspirierend ist.
Für ihn ist die Hizmet-Bewegung eine transnationale soziale Bewegung, die das Ziel anstrebt, gegenseitiges Verständnis, Toleranz, Respekt und Frieden zu fördern. Sehr spannend ist Gülens Erkenntnis, dass Muslime ihren Glauben in sehr unterschiedlichen politischen Systemen praktizieren können. Für Fethullah Gülen ist die Demokratie, auch wenn sie noch immer verbesserungsfähig ist, das einzige zukunftsfähige politische System, weil für ihn eine pluralistische Gesellschaft eine wichtige Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen ist. Gerade in Demokratien wird die Entscheidungsfreiheit, wie die Menschen ihr Leben gestalten und ihren religiösen Werten Ausdruck verleihen wollen, durch Grund- und Menschenrechte garantiert. Universelle Grundsätze wie Gleichberechtigung, Toleranz und Gerechtigkeit können deshalb, laut Gülen, fruchtbar in den demokratischen Prozess eingebracht werden. Seine Auseinandersetzung mit der Menschenrechtsproblematik weist nach, dass auch Muslime „das göttliche Gesetz“ auf die konkrete Gesellschaft, in der sie leben, auslegen müssen. Nur so können politische Theorien und praktisches Handeln weltlicher und religiöser Ausprägung miteinander in Einklang gebracht werden. Der Islam erkennt also, wie der christliche Glaube, dass eine ständige, auf die Gesellschaft ausgerichtete Transformation des Glaubens in neue Handlungsfelder geleistet werden muss.
Durch „Was ich denke, was ich glaube“ kommt der Leser zu dem Ergebnis, dass Gülen ein zutiefst gläubiger Muslim ist, der die westliche Gesellschaft in ihrer demokratischen Verfasstheit befürwortet, sie gleichzeitig aber auch durchaus kritisch in Betracht zieht. Er verweist dabei auf die Überbetonung materiellen Denkens und die Verdrängung von praktizierten, auch religiösen Werten. Gleichzeitig stellt sich Gülen klar gegen Terrorismus und Gewalt der sich auf den Islam beruft und setzt sich für eine Gleichstellung der Geschlechter ein.
Auffallend ist der sehr schwierige sprachliche Zugang zum Text. Gülen, der heute in den USA lebt, argumentiert auf teilweise hohem theoretischem Niveau, das einer differenzierteren Analyse bedarf und sich nicht für Entgegnungen auf der Alltagsebene mit vereinfachten Zuspitzungen eignet.
Nach einigen Mühen jedoch erschließt sich dem Leser ein Bild des Islams, dass das Individuum in den Mittelpunkt stellt und gläubigen Menschen ermöglicht an der Moderne teilzuhaben. Der Weg, über den die demokratisch verfassten Gesellschaften gepflegt werden können, führt Gülen über Bildung und Erziehung und über eine Mobilisierung der Menschen auf der Basis von universellen Werten wie Liebe, Toleranz und Dialog.
Sein Islamverständnis widerspricht allen Meinungen die auf Konfrontation und Kampf der gesellschaftlichen Systeme aus sind. Im Gegenteil: Er propagiert ein vielseitiges Miteinander auf dem Boden fundamentaler gemeinsamer Werte.
Spannende Fragen sind weiterhin, ob Gülen durch seinen Beitrag eine positive und dynamische Ausdrucksform eines Islams hervorgebracht hat, der der westlichen Welt auf Augenhöhe begegnen kann. Und ob durch Gülens Wirken ein soziales Netzwerk entstanden ist, das sich deutlich von den weitestgehend politischen Bewegungen in der übrigen islamischen Welt abhebt.